"Unter Taliban, Warlords und Drogenbaronen"

Dr. Erös besuchte die Berufsschule Neumarkt

Dr. Erös, pensionierter Oberstarzt der Bundeswehr, leistet seit über 20 Jahren humanitäre Hilfe in Krisenregionen Afrikas und Asiens. Dr. Erös gilt als Kenner von Afghanistan und bildet regelmäßig deutsche Polizisten in Landeskunde für ihren dortigen Auslandseinsatz aus.

Schon lange engagiert er sich dort und hat inzwischen mit seiner Stiftung u. a. mehr als zwei Dutzend Schulen für afghanische Mädchen eröffnet.

Für sein Engagement wurde er mit dem Marion-Gräfin-Dönhoff-Förderpreis, dem Bundesverdienstkreuz und vielen anderen Auszeichnungen bedacht.
Herr Dr. Erös sprach am Vormittag vor ca. 150 Schülern aus verschiedenen Klassen und Jahrgangsstufen. Nachmittags referierte er dann vor 50 Sozialkundelehrern.

Die Berufsschule Neumarkt setzte damit ihre Veranstaltungsreihe "Berufsschule Neumarkt im Gespräch mit ..." fort.

Sozialkundlicher Hintergrund dieses Besuchs sollte eine intensivere Auseinandersetzung der Schüler bzw. Lehrer mit Themen wie "Auslandseinsatz der Bundeswehr", "Zivilcourage", "bürgerliches Engagement" und nicht zuletzt "Mitmenschlichkeit" sein.

Sein Vormittagsvortrag stand unter der Überschrift: "Afghanistan, was geht uns das an?"

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Schnell schaffte es Dr. Erös die über 150 Schüler mit seinem Vortrag so zu fesseln, dass es sehr still wurde in der Aula der Berufsschule Neumarkt. Nachdem er kurz verschiedene Stationen seines Lebens, u.a. seine "Lehrzeit" bei Mutter Teresa in Kalkutta, vorgestellt hatte, kam er sehr bald auf die Rolle der Bundeswehr in Afghanistan zu sprechen. Dabei versuchte er die immensen Kosten dieses Einsatzes zu veranschaulichen. Das wöchentliche Einfliegen von 1,5 Millionen Liter Wasser für die Bundeswehr kostet jeweils ca. 15 Millionen EUR - also 10,00 EUR pro Liter. Davon entfallen 9,80 EUR auf die Transportkosten. Die Begleitung der 1.200 Tankwagen mit jeweils 40.000 Liter Sprit durch zivile Sicherheitsfirmen kostet 10.000,00 USD pro Fahrzeug pro Woche. Notwendig sei das, weil ansonsten die Taliban die Konvois auf der Strecke von Pakistan nach Afghanistan angreifen würden. Dass aber die Sicherheitsfirmen den Talibanführern als "Schutzgeld" einen Teil des Geldes abgeben müssen und diese dann damit ihre Waffenkäufe finanzieren sei an Absurdität nicht zu überbieten. Insgesamt habe der Natoeinsatz bis jetzt ca. 700 Milliarden USD gekostet.

Der zweite Teil des Vortrages beschäftigte sich mit Land und Leuten.

Die afghanische Bevölkerung sei sehr widerstandsfähig und im Gegensatz zu deutschen Schülern seien afghanische Schüler bereit, enorme Strapazen für den Schulbesuch auf sich zu nehmen.

In Afghanistan gebe es mehr als 30 verschiedene Volksgruppen und Sprachen. Kann ein Problem verbal nicht gelöst werden, wird das Problem mit Gewalt gelöst. Lange Zeit gab es kaum Schulen, die diese Sprachen vermittelten. Deswegen sei es besser, Bildung "hinzuschicken", als Soldaten.

Gleichzeitig läge die Kindersterblichkeit bei 46 % . Auf 250.000 Einwohner komme ein Arzt. Die Afghanen hätten sich während seines Hilfseinsatzes als Mediziner zu Zeiten der Besatzung durch die Sowjetunion bei Angriffen auf ihn geworfen, um ihn, den Katholiken aus Bayern zu schützen, das habe ihn geprägt.

Emotional sehr berührend war die Schilderung der Folgen eines sowjetischen Angriffs, bei dem ein Junge schwer verletzt wurde. Sein Körper war übersät mit Verletzungen von Granatsplittern. Es gab nur noch die Alternative ihn in ein sowjetisches Lazarett zu bringen, da er vor Ort mit diesen schlimmen Verletzungen nicht behandelt werden konnte. Der Vater entschied sich aber dagegen und damit für den Tod des eigenen Sohnes. Wenn der Vater ihn zum Feind, ins sowjetische Lazarett gebracht hätte, hätten die Sowjets versucht einen gottlosen Menschen aus seinem Sohn zu machen- sein Sohn würde gegen seine eigene Religion kämpfen. Das käme nicht in Frage. Dr. Erös stellte klar dass über 90% der afghanischen Bevölkerung diese Einstellung hätten, lieber den Sohn zu opfern, als von der eigenen kulturellen Identität abzuweichen.

Dr. Erös Ziel war es, Schüler politisch sensibler zu machen. Er appellierte an sie, sich politisch zu engagieren, aktiv zu werden und die Probleme unserer Zeit anzugehen. Probleme die er am eigenen Leib erfahren habe. Antworten auf Fragen zu finden, deren Beantwortung man an keiner Universität lernt. Was macht man, wenn man in einem Entwicklungsland am Tag 100 Patienten behandeln kann, 1000 aber behandelt werden müssten und vor der Tür ständen. Wie soll man die auswählen, die behandelt werden sollen - erst die Kinder oder die Mütter oder erst die Männer, weil diese die Familie ernährten?

Gleichzeitig versuchte er bei den Schülern Verständnis für Asylsuchende zu wecken. Kann man es einem Menschen aus der Dritten Welt übel nehmen, wenn dieser Mensch versuche, in ein Land zu kommen, in dem die tägliche Nahrung so selbstverständlich wie die Luft zum Atmen sei, während er im eigenen Land täglich ums Überleben kämpfen müsse?

Ein Land wie Deutschland, in dem schon die Grundsicherung in Form von Hartz-IV einen Mitbürger zu den reichsten 15 % der Welt gehören lässt, muss im Zeitalter des Internets damit rechnen, dass dieser Reichtum wahrgenommen wird.

Der Schwerpunkt seines Referats am Nachmittag vor ca. 50 Sozialkundelehrkräften lag bei der politischen Bewertung des Bundeswehreinsatzes.

Der Einsatz in Afghanistan werde in den Medien in einer Banalisierung, Heroisierung und auf jeden Fall nicht in realistischer Weise dargestellt. 73 % der deutschen Bevölkerung seien gegen den Natoeinsatz, gleichzeitig seien aber 72 % der Parlamentarier dafür. Das habe es noch nie gegeben. Das sei kontraproduktiv und eine Gefahr für die Demokratie.

Soldaten in den Krieg zu schicken sei kein marginales Thema. Die Motivation der Soldaten sei bei annähernd Null, obwohl sie 110,00 EUR täglich zusätzlich bekämen. weil sie wüßten dass es in Deutschland keinen Rückhalt für ihren Einsatz gebe. Die Bundeswehr sei in hohem Maße unkoordiniert bei ihrem Einsatz. Sie sei jetzt seit 10 Jahren in Afghanistan und trotzdem können man in der Bundeswehr nicht Paschto, die Amtssprache der Afghanen lernen.

Reinhard Erös duldet generell wenig Widerspruch. Eine "falsche" Frage, und schon werden die Augen schmal und die Stimme laut. Er kennt dann weder Freund noch Feind. Doch trotz seiner bemerkenswert kurzen Zündschnur ist er sofort wieder bei der Sache und fährt fort, über "sein Afghanistan" in einer

Art und Weise zu sprechen, die den Zuhörer fesseln muss. Man merkt bei jedem Wort, dass er emotional hinter diesem Land und seinen Einwohnern steht.
Anders ist es auch kaum vorstellbar, knapp 30 Schulen zu eröffnen, sein Leben und das seiner Familie so intensiv auf diese Projekte auszurichten.

Immer wieder betont er die Wichtigkeit kultureller Kompetenz, die so vielen Ausländern in Afghanistan fehle. Das sei der Schlüssel zu diesem Volk.

Herzlichen Dank Herr Dr. Erös für diese beeindruckenden Vorträge. Das war eine große Bereicherung für unsere Schulgemeinschaft und ein Vorbild für humanitäres Engagement!

Trappe
Sozialkundefachbetreuer

Kontakt: http://www.kinderhilfe-afghanistan.de/

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